Das erste Training

Das erste Training

Angesteckt durch die Begeisterung von Freunden, motiviert durch eine gute Einführung oder angespornt durch das Verlangen, sich endlich sicher seiner Haut wehren zu können, beginnt man einen Anfängerkurs. Vorgeführt von guten Lehrern sehen alle Übungen auch genau so aus, wie man es sich erwartet hat: Leicht, elegant, fast spielerisch und gleichzeitig effizient und überzeugend. Doch beim Versuch, auch nur die leichtesten Vorübungen nachzumachen, scheinen einem plötzlich zwei linke Hände und Füße gewachsen zu sein. Nichts klappt, alles fühlt sich eckig und unsicher an – man kommt sich vor wie in der ersten Stunde eines Tanzkurses. In diesem Stadium geben viele auf, halten sich für zu ungeschickt, zu alt oder es ist ihnen irgendwann schlicht peinlich, zum hundertsten mal die gleiche kleine leichte Übung nicht hinzukriegen. Und keiner will glauben, wenn die Fortgeschrittenen oder Lehrer erzählen, daß sie genau so angefangen haben und mindestens die gleichen Probleme zu bewältigen hatten !

Aikido zu lernen ist »ein Weg ohne Ende«. Es braucht viel Geduld und regelmäßiges Üben, über viele Jahre hinweg. Streß und der Frust kommen dabei nicht von außen: Es gibt keine Wettkämpfe, kein Lehrer erwartet irgendeinen schnellen Fortschritt, kein Fortgeschrittener ist böse, wenn eine Partnerübung zum hundertsten Male nicht funktioniert. Streß und Frust kommen immer von einem selbst: Durch überzogene Erwartungen, durch den Glauben, man müsse der Beste und Schnellste sein, oder genauso gut und schnell vorwärtskommen wie die anderen auch, ungeachtet der eigenen Voraussetzungen, oder durch die Erwartung, sich nach drei Wochen regelmäßigen Übens bereits wirkungsvoll verteidigen zu können. In fast allen Schriften über japanische Kampfkünste findet sich die folgende Aussage:

Der erste und schwierigste Gegner, den es zu besiegen gilt,
ist das eigene Selbst !

So ist es auch im Aikido. Eine zu starke Fixierung auf schnellen Fortschritt sowie ständiges Vergleichen mit den anderen hindert nur am Üben – und verdirbt den Spaß.

Jeder hat seine eigenen Voraussetzungen, seinen eigenen Rhythmus und jeder braucht seine eigene Zeit, um etwas zu lernen. Das für sich akzeptieren zu können ist die einzige wirkliche Voraussetzung, um Aikido zu lernen und eines Tages zu verstehen!

Text von Jörg Bernsdorf
Ich danke für die freundliche Genehmigung.